frühlingeling
Das Thema
Den Frühling kann man als Zeichner einfach nicht ignorieren. Es gibt so unendlich viele wunderschöne Blüten und Blumen, verschiedenste Formen und Farben und immer wieder muss man sich als Zeichner fragen, wie nähere ich mich einer zum Beispiel zartfarbenen Blüte an. Nicht immer ist der graue Bleistift das frühlingstiftende Material.
Hinzu kommt, dass einzelne Blüten immer zentrisch sind, oftmals haben sie so viele Blütenblätter, dass man gar nicht weiß, wo fange ich an, wenn ich das typische einer in dem Fall blattreichen Blüte wiedergeben möchte. So schön das Thema ist, so wenig einfach ist es auch. Und trotzdem werden wir es genießen. Da bin ich mir sicher!
Die Fotos und die Technik
Dieses Mal habe ich Dir 3 Fotos mitgebracht, von einem meiner unzähligen Spaziergänge mit den beiden Hunden im Stadtpark. Die japanische Kirsche fand ich in ihrer Blüte so schön, dass ich für ihre Umsetzung einfach eine Übung schreiben musste.
Was ist das besondere an diesen Fotos bzw. an diesen Blütenansammlungen und –ausschnitten?
Zum einen eben die Tatsache, dass es Ansammlungen und Ausschnitte sind. Es ist eben nicht die einzelne zentrische Blüte, sondern man hat hier extremen kompositorischen Spielraum.
Die extreme Zartheit versus den Dunkelheiten z.B. des Holzes.
Die vielen Blätter und Linien und die damit verbundene Frage, geht es hier tatsächlich um die Form oder eher um die Sinnlichkeit auch freierer Linien.
Und da schließt sich auch direkt die Frage an, wieviel Realität benötige ich überhaupt, wie frei darf ich werden und wie mache ich das in der Zeichnung.
Wenn Du also Zeit hast und Dich länger mit diesem Thema beschäftigen möchtest, könnte eines der Ziele sein, von Zeichnung zu Zeichnung freier und freier und freier zu werden und sich immer mehr von der realistischen Form zu lösen. Ein äußerst spannendes Experiment.
In dieser Übung werden wir mit zarten Lasuren und zarten Farbstiften Arbeiten. Wir werden versuchen, die vielleicht zu starke Süße mit einem Hauch Dunkelheit zu kompensieren. ES kann sein, es wird farblich etwas viel, aber ohne neue Aspekte zu versuchen, können wir keine neuen Erfahrungswerte sammeln.
Du brauchst auf jeden Fall zarte blütenfarbene Farbstifte und zarte Lasuren aus Tusche und Wasser oder einfärbtes Deckweiß und Wasser. Bei den Lasuren probiere auch immer ein bisschen mit dem Material, welches Dir zur Verfügung steht. Udo Lindenberg hätte Rotwein genommen und auch der funktioniert, genauso Blaubeersaft o.ä. oder verschiedenste Farben. Es darf nur nicht zu viel Acryl in der Lasur sein, weil nach dem Trocknen, die Farbstifte und Bleistifte noch funktionieren müssen.
Die Arbeitsschritte
In dieser Übung findest Du recht viele Arbeitsschritte. Das ist der Tatsache geschuldet, dass wir eher zart arbeiten, zurückhaltend, sinnlich, es manchmal auch einfach kleine Schritte sein sollen. Versuche in dieser Übung ein Gefühl dafür zu bekommen, wieviel Du in einem Schritt zeichnen solltest. Das richtige Maß zu finden, bei jedem Thema immer wieder aufs Neue, ist ein aufregender Aspekt beim Zeichnen.
Schritt 1 Die flächige Lasur
Wir fangen mit einer flächigen Lasur an, breiter Pinsel, flächig mit etwas Bewegung. Die Farbe soll Bezug zu den japanischen Kirschen haben, ein rosa, ein zartes rosa oder auch ein stärkeres. Wähle die Farbe einfach mit Bedacht aus! Bearbeite gut 50% Deines Blattes und lasse es im Anschluss gut durchtrocknen.
Je nach Papier macht es Sinn, es umlaufend mit Tesakrepp auf einen festen Untergrund zu kleben, damit es nicht zu wellig wird bzw. sich während des Trocknens wieder etwas glattziehen kann.
Aufgrund möglicher Wellenbildung nimm nicht zu viel Flüssigkeit. Man muss hier ein Gefühl entwickeln, immer auch gemessen am verwendeten Papier.
Schritt 2 Die strukturierte Lasur
Wenn die erste Lasur getrocknet ist, kommt die zweite Lasur. Wieder soll die Farbe etwas mit der Japanischen Kirsche zu tun haben, aber gleichsam soll sie einen Kontrast bilden zu der Farbe aus Schritt 1. Hattest Du vorher beispielsweise ein dunkles rosa, so könnte es jetzt ein ganz helles rosa oder weiß sein.
Dieses Mal soll die Lasur eher kleinteilig sein, also eine Art Struktur bilden. Du könntest die Lasur mit einer Fixativspritze aufsprühen, du könntest sie aufsprenkeln, auftragen und experimentell abtupfen. Lass Dir gerne ganz eigene Techniken einfallen. Wichtig ist lediglich, dass wir zum ersten flächigen Schritt nun einen kleinteiligen Schritt haben, mit eher feinen Strukturen.
Schritt 3 Die dunklen Punkte
Nun wähle ein Motiv aus und setze die dunklen Bereiche ganz gezielt, primär die Äste, und falls Du andere dunkle Bereiche in den Blüten siehst, die Du zeichnen möchtest, gerne auch diese. Versuche tatsächlich die Formgebung recht realistisch hinzubekommen, die Formen der Dunkelheiten.
Das Material kannst Du hier frei wählen. Entweder nimmst Du tatsächlich einen sehr weichen Bleistift oder einen sehr dunkelfarbigen Buntstift oder auch eine sehr dunkle Tusche und einen Tuschpinsel. Das letztere wäre in diesem Fall wahrscheinlich mein persönlicher Favorit.
Schritt 4 Die kompositorische Lasur
Und noch einmal geht es um eine Lasur. Wieder muss es zwangläufig um eine andere Tonigkeit gehen, um sie zu sehen. Und diese Lasur soll auch wieder etwas Anderes machen als die ersten beiden Lasuren.
Diese Lasur soll auch eher flächig sein, aber es soll um kleine Flächen gehen, die einen Bezug zur Realität aufbauen, hier mal ein Stück eines Blütenblattes, dort den Hintergrund einer Blüte, der dieselbe dadurch anfängt zu definieren, hier mal ein Detail.
Gleichermaßen kannst Du dadurch, dass Du diese Lasur nur in bestimmten Bereichen der Zeichnung einbringst, Komposition betreiben.
Schritt 5 Der erste zarte Farbstift
Nun geht es endlich mit der langersehnten Linie weiter, mit einem zarten Farbstift, farblich mit einem Bezug zum Motiv, aber natürlich sichtbar. Arbeite in zwei verschiedenen Formen:
Setze ein paar komplett freie lebendige und schöne und zarte Linien, die sich eher aufgrund ihrer Sinnlichkeit und Bewegung auszeichnen. Diese Linien sollen keinen direkten Bezug zum Motiv haben.
Setze Linien, die sich auf die Blüten beziehen, zeichne erste Blütendefinitionen, fange an das Motiv linear zu Formen.
Schritt 6 Der zweite zarte Farbstift
Schritt 6 ist eine Wiederholung von Schritt 5, allerdings mit einem anderen Farbstift, der sich natürlich auch wieder auf Deinen Farbakkord beziehen soll.
Schritt 7 Die zarten Farbstiftschraffuren
Nun setze mit einem der letzten beiden Farbstifte Schraffuren entweder überall ein bisschen oder in einem von Dir gewählten Bereich konzentrierter und dichter. Nimm Dir Zeit, arbeite nicht hektisch. Es soll ja letztlich um ein zartes Blatt gehen.
Schritt 8 Die Bleistiftausarbeitung
Nun bestimme einen Bereich zu Deinem Schwerpunktbereich. Diesen arbeite mit dem Bleistift sehr viel intensiver heraus. Intensiv muss nicht dunkel und grob heißen. Auch hier kannst Du eher zart arbeiten und trotzdem dichte Schraffuren entwickeln, indem Du einen härteren Bleistift verwendest. Werde teilweise sehr exakt.
Schritt 9 Der freie Schritt
Der letzte Schritt ist ein freier Schritt. Grundsätzlich gibt es zwei Richtungen, die Du hier einschlagen kannst.
Entweder bedienst Du das, was bereits da ist und vollendest es.
Oder Du machst plötzlich noch einmal etwas dezent Freches. So könntest Du plötzlich zu einem roten Buntstift greifen und noch einmal einige knallrote Konturen zaubern oder einen Bereich des Hintergrundes malst Du flächig mit einem intensiven Türkis aus.
Das wären natürlich Schritte, mit denen man alles noch einmal riskiert.
Die Reflektionsfragen
Die Zeichenaufgabe war aufgrund der Lasuren und eigenwilligen Farben sicherlich ein wenig anders als andere Zeichenaufgaben. Lass uns das Ergebnis nochmal genauer betrachten
Wie sieht es mit der Farbgebung aus? Wie würdest Du sie beschreiben? Ist sie eher süß geworden oder dezent? Wie ist das Verhältnis zwischen den süßeren Farben und der Dunkelheit und dem Bleistift?
Wie ist das Verhältnis zwischen realistischer Definition und den Linien, die lediglich für Bewegung sorgen sollten, ohne zu definieren? Überwiegt die Realität ganz klar oder hast Du es geschafft auch in der Bewegung einen Gegenpol aufzubauen?
Was würdest Du bei einer zweiten Ausführung der Aufgabe anders machen? Was würdest Du unbedingt wiederholen wollen?
Und wieder ist es vollbracht, wiederhole die Übung gerne und freue Dich schon auf die nächste in der kommenden Woche. Sei sonnigst gegrüßt – Stephan